3. Dezember 2015, 16:38
Wenn der Tierarzt sagt, man möge sich auf etwas gefasst machen, weiß man, dass einem ein Schock bevorsteht. Und doch traf es mich unvorbereitet, als ich dieses klägliche Häuflein Elend erblickte, das zitternd auf seinem Handtuch im Genesungskäfig lag, nachdem es in unser Hospital in Chengdu gebracht worden war. Ein winziger nackter Welpe mit einem roten, wunden Körper wie eine einzige große Brandblase. Er blickte aus großen runden Augen in die Welt, in seinem Blick das Elend eines Tieres, das nicht verstand, warum es mit solchem Schmerz gestraft worden war.
Für das Verbrechen, auf einem Handy herumgekaut zu haben, war Tuffy mit kochendem Wasser übergossen und aus dem Fenster einer Wohnung im vierten Stock auf den Betonboden darunter geworfen worden. Wunder nehmen eigenartige Gestalt an, und Tuffy hatte in seinem sehr kurzen Leben bereits zwei erlebt. Man sagt, dass Menschen, die höher als aus dem dritten Stock aus einem brennenden Gebäude springen, wahrscheinlich keine Überlebenschance haben – Tuffy kam in diesem besonderen Fall davon, zwar übel zugerichtet und voller Verletzungen, aber immerhin mit heilen Knochen.
Das zweite Wunder war das Ausmaß seiner Verbrennungen. Wenn sie über 50 % der Körperoberfläche betreffen, wird das Tier wahrscheinlich nicht überleben, heißt es. Mit Verbrennungen von über 60 % verdiente sich Tuffy allmählich seinen Namen, er war wirklich tough, zäh im wahrsten Sinne des Wortes, als er Tag um Tag stillschweigend um seine Chance „bat“. In einer Sprache, die man nur als verzweifelten Überlebenswillen beschreiben kann.
In jenen Tagen reagierte er langsam, aber stetig auf die Pflege rund um die Uhr durch das höchst verwunderte Tierarztteam. Ein Schlecken am Hundefutter, ein Blick nach links auf das neue Spielzeug, das man behutsam neben ihn gelegt hatte, ein leises Bellen, wann immer jemand den Raum betrat, und unzählige andere Zeichen signalisierten, dass Tuffy entschlossen war weiterzuleben.
Schnell lernte er, dass er ein paar unangenehme Minuten vor sich hatte, wenn er behutsam auf den Operationstisch gehoben wurde, da seine Verbände jeden Tag gewechselt werden mussten. Sein mitleiderregendes Winseln brach uns das Herz, während er vorsichtig betäubt wurde und in den Schlaf glitt. Im Laufe der Wochen wurde die Betäubung nach und nach ersetzt durch ein stetiges Angebot an ablenkenden Leckerbissen, und er kam mit dem Verbandswechsel besser zurecht. Die Verbände, die um seinen nackten kleinen Körper gewickelt wurden, gerieten von Mal zu Mal „kunstvoller“. Das Tierarztteam, das ihn rückhaltlos bewunderte, steckte kreativ gestaltete Halbmonde (in Anspielung auf unsere Mondbären), rote Herzen und liebevoll aus Krepp geschnittene XXX-Formen darauf fest, als ob er jeden Tag eine neue Designerjacke angepasst bekäme.
Und ganz allmählich reagierte er auf die Bemühungen eines Teams, das normalerweise die Bären pflegte und jetzt fest entschlossen war, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dieses verbrannte, mit Blasen bedeckte Opfer eines schändlichen Missbrauchs ins Leben zurück zu bringen.
Wenn ich die Chirurgie betrat, erblickte ich Tuffy, wie er Bällen und Spielzeug hinterher jagte, mit denen er ohne Ende versorgt wurde. Sein merkwürdiger Wackelgang war gewiss einzigartig in der Hundewelt. Das ganze Tierarztteam gab jeder seiner Launen nach und wetteiferte beinahe darum, wer sich das albernste Spiel ausdenken konnte, um diesen ausgelassenen, zunehmend fröhlichen Welpen zu unterhalten.
Mein unendlicher Respekt gilt Eddie, Mandala, Wendy, Emily, Jen, Max, Wen Yan, Nic, Nguyen, Christe und Alaine, die allesamt lange Stunden, Tage und Nächte damit zubrachten, Tuffy bei seiner Mission zu unterstützen, die darin bestand, noch einen weiteren Tag zu leben, und dann noch einen …
Wie bei allen Verbrennungsopfern straffte sich die Haut auf seinem Körper. Und nun, nachdem die Verbrennungen abgeheilt waren, standen mehrere Folgeoperationen bevor. Auch eine Hauttransplantation, um seine Haut weicher zu machen, damit er so „normal“ wie möglich würde laufen können, und dann noch weitere Eingriffe, die ihm erlauben sollten, seine Augen im Schlaf richtig zu schließen.
Ich weinte über die bittere Ironie des Ganzen, als unser Tierarztteam uns behutsam erklärte, dass der unversehrteste Flecken, von dem man die Haut für die Transplantation nehmen konnte, seine Hoden waren. Unter seinem Körper versteckt, waren sie von dem kochenden Wasser unberührt geblieben. Und so wurde Tuffy ordnungsgemäß kastriert, und nichts ging verloren. Diese Prozedur war womöglich das dritte Wunder in seinem wenige Wochen alten Leben. Das Transplantat wurde entnommen, und Tuffy, jetzt im Besitz einer weiteren stolzen, weiß schimmernden Narbe zusätzlich zu den vielen anderen, die von der Lockerung seiner Haut stammten, lief beinahe normal herum, ganz und gar der Hund, der er seiner Geburt nach sein sollte.
Die ganze Zeit über besuchten die wunderbaren jungen Chinesinnen – Yan Ying Ying und ihre Freundinnen -, die den sterbenden Welpen vom Hof des Hochhauses aufgesammelt und ihn zu uns gebracht hatten, jeden Tag unser Hospital. Sie arbeiteten in Chengdu und fuhren eine Stunde lang zu unserem Rettungszentrum, nur um Tuffy in Gedanken und Gebeten nahe zu sein. Sie entwarfen ein wundervolles T-Shirt, „Team Tuffy“, mit der Zeichnung eines kulleräugigen Welpen, und veröffentlichten seine Geschichte auf Weibo, sodass Menschen in ganz China die Genesung dieses tapferen kleinen Hundes verfolgen und unterstützen konnten.
Heute lebt Tuffy bei ihnen zu Hause (obwohl die Schlange derjenigen unter uns, die in Chengdu wohnen und sich anboten, ihn zu nehmen, wohl kilometerlang war). Er führt ein Leben, von dem er nur geträumt haben kann, zusammen mit ihrer Hauskatze, die inzwischen seine neue beste Freundin geworden ist. Gründlich verwöhnt, besitzt er eine umfangreichere Garderobe als Paris Hilton, und seine Kapuzenpullis und Jäckchen würde jeden Modefan vor Neid erblassen lassen.
Tapfer und furchtlos ist er von einem traurigen und erbarmungswürdigen Bündel Tier zu einem richtigen Hund herangewachsen, ein Hund, der Fremde anbellt, während seine einst verbrannten und jetzt schartigen Ohren im Wind flattern.
Und er könnte nicht mehr geliebt werden….
Lesen Sie mehr über Tuffy und schauen Sie sich das Video über ihn in unserem Nachrichtenartikel an.
Übersetzung ins Deutsche: Inga Bening (Freiwillige Mitarbeiterin)
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