Erschütternder Abschiedsbrief an eine gerettete Bärin, die zu früh starb

24. Februar 2017

Ihre Betreuerin tat alles, was sie konnte, doch Shanti starb. Kelly durfte es nicht erleben, dass die Bärin, die aus einer Gallefarm gerettet worden war, ins Licht der Sonne hinaustrat.

Schon unmittelbar nach ihrer Rettung aus der Halong Bay, Vietnam, im Juni 2015 war offensichtlich, dass Shanti furchtbar gelitten hatte.

Mehr als 18 Monate lang arbeiteten ihre Betreuer unermüdlich daran, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu ermutigen, das Leben wieder zu lieben. Doch am Ende konnten sie Shanti nicht zurückgeben, was ihr geraubt worden war. Shanti blieb seelisch außerstande, sich auf das Erlebnis der erschreckenden Weite unter freiem Himmel einzulassen.

Im Januar 2017 fing Shanti an, unter Lähmungen und Krämpfen in den Hinterbeinen zu leiden. Sie verweigerte das Futter und ließ ihren Betreuern kaum eine andere Wahl, als ihr Leiden schmerzlos zu beenden. Sie wurde im Bärenrettungszentrum vom Animals Asia in Vietnam begraben.

V130 Shanti at VBRC

Bärenmanagerin Kelly Donithan traf der Verlust hart. In einem herzzerreißenden Brief beschreibt sie ihre Beziehung zu Shanti und ihre Verlustgefühle nach deren Tod. Der Brief verdient eine breitere Öffentlichkeit

In ihrem Brief an Shanti heißt es:

„Als ich heute Morgen an ihrem Grab saß, bat ich sie, mir zu vergeben, dass ich ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht besser verstanden hatte. Wieder und wieder entschuldigte ich mich für die Grausamkeiten, die ihr von Angehörigen meiner Spezies angetan worden waren und die sie in ihrem Leben vor solche Herausforderungen gestellt hatten, sogar noch, nachdem sie gerettet worden war und trotzdem sie so sehr geliebt wurde. Ich schloss meine Augen und stellte mir sie draußen im Gras vor. Das hatte ich mir monatelang ausgemalt, und jetzt wusste ich, dass ich es niemals mehr wirklich sehen würde.“

Und der Brief schließt:

„Ruhe in Frieden, Shanti, liebes Mädchen. Möge Deine neue Welt schmerzfrei sein, voller Sonnenschein und Bananenblüten. Danke für die Zeit, die Du bei uns warst. Ich werde Dich immer lieben.“

Hier der Brief in voller Länge:

„Als ich letzte Woche die Nachricht erhielt, dass mit Shanti etwas nicht stimmte, sank mir das Herz. An jedem einzelnen Tag der letzten anderthalb Jahre war ich wegen dieser Bärin besorgt gewesen, verwirrt, irritiert, frustriert. Und ich hatte mich in sie verliebt.

Zunächst war es darum gegangen, ihr Vertrauen zu gewinnen und eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Nichts war einfach für Shanti, und jeder kleine Erfolg zählte. Ein Erfolg wie der, als ich ihr zum ersten Mal einen Löffel voll Kondensmilch mit einem ganz normalen Löffel geben konnte statt mit der einklappbaren Vorrichtung, die wir erfunden hatten, als sie sich weigerte, das tiefe Innere ihres Stalls zu verlassen.

Ganz allmählich ging es Shanti besser, und wir entwickelten eine Freundschaft, die sich in Kleinigkeiten äußerte, in Erdbeermarmelade und in Seufzern der Erleichterung.

Und dann ihr Appetit: Shanti fraß kein „normales” Bärenfutter. Äpfel widerten sie geradezu an, und sie legte großen Wert darauf, dass ich das auch mitbekam, indem sie laut und unzufrieden schnaufte.

Ich zerbrach mir den Kopf, um Geschmacksrichtungen und Konsistenzen zu finden, die sie vielleicht akzeptieren würde. Babynahrung, Reis, gekochtes Gemüse, gehackte Früchte, eingeweichtes Hundefutter, gemischt oder einzeln in Häuflein, gewürzt mit Schokoladensirup oder Joghurt, zerquetscht mit Marmelade. Aber kein Futterangebot nahm sie länger als ein paar Tage oder Wochen an, dann wies sie es plötzlich wieder zurück. 

Gemeinsam mit dem übrigen Tierarztteam suchten wir nach körperlichen, medizinischen Gründen für diese ungewöhnliche Appetitlosigkeit. Es gab Zeiten des Wartens und der Beobachtung, denn wir wollten in Shantis Leben nicht immer wieder etwas verändern, aber ständig hatten wir die Fragen im Hinterkopf: Warum? Was tun wir als nächstes?

Obgleich Shanti immer mehr Zutrauen zum Leben im Stall fasste und sehr viel besser auf ihre menschlichen Betreuer reagierte, blieb sie doch immer noch eine Bärin, die öfter eine freundliche Aufforderung benötigte, mehr Zeit für Routineabläufe, mehr Geduld beim Aufbau von Vertrauen.

Schließlich überlegten wir, ob ihre chronische Angst nicht für ihren wechselnden, störanfälligen Appetit mitverantwortlich war. Nach langer Diskussion beschlossen wir, einen Versuch mit Antidepressiva zu unternehmen und hofften, dass etwaige seelische Gesundheitsprobleme darauf ansprechen würden.

Anfangs sah es so aus, als wäre dies ein Schritt in die richtige Richtung. Ihr Appetit nahm zu, und wir brachten sie erstmals dazu, alle Hauptnahrungsmittel einer Bärennahrung zu sich zu nehmen, wenn auch in etwas kreativen Formen. Ihre Aktivität schien gesteigert, und die Arbeit mit ihr im Bärenhaus wurde leichter. Ich hatte gelernt, meine Erwartungen zu zügeln, was Shanti anging, und während ich mich freute, dass sie besser zurechtkam, hielt ich doch (wie der Rest des Teams auch) wachsam Ausschau nach Anzeichen für ihre alten Gewohnheiten. Leider stellten sich diese Anzeichen ein in Gestalt liegen gelassener Mahlzeiten, geringerem Verzehr und schließlich in einer neuerlichen Nahrungsverweigerung.

Als ich heute Morgen an ihrem Grab saß, bat ich sie, mir zu vergeben, dass ich ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht besser verstanden hatte. Wieder und wieder entschuldigte ich mich für die Grausamkeiten, die ihr von Angehörigen meiner Spezies angetan worden waren und die sie in ihrem Leben vor solche Herausforderungen gestellt hatten, sogar noch, nachdem sie gerettet worden war und trotz aller Liebe. Ich schloss meine Augen und stellte mir sie draußen im Gras vor. Das hatte ich mir monatelang ausgemalt, und jetzt wusste ich, dass ich es niemals mehr wirklich sehen würde.

Als Bärenmanagerin verdanke ich Shanti Lektionen in unglaublicher Geduld und Entschlossenheit und vor allem die Erkenntnis, die Bedeutung der Individualität niemals zu unterschätzen. Shanti war so besonders, so einmalig wie nur möglich. Ihre Herausforderungen, Triumphe, Freuden, Ängste und natürlich auch ihre geschmacklichen Vorlieben waren anders als alle anderen.

Mir selbst hat die Arbeit mit Shanti durch all ihre Prüfungen hindurch den Mut gegeben, meinen eigenen inneren Dämonen die Stirn zu bieten und Probleme anzugehen, die ich allzu lange begraben hatte. Ich kann nicht glauben, dass ich ihr genauso viel gab wie sie mir. Und doch bin ich auch erleichtert, weil ihr Leiden ein Ende hat, und ich halte die glücklichen Augenblicke fest: etwa wie sie sich spielerisch in ihrem Korb auf den Rücken rollte, beschäftigt mit jungen Sprösslingen in den großen Tatzen mit den schneeweißen Krallen.

Ruhe in Frieden, Shanti, liebes Mädchen. Möge Deine neue Welt schmerzfrei sein, voller Sonnenschein und Bananenblüten. Danke für die Zeit, die Du bei uns warst. Ich werde Dich immer lieben.“

Übersetzung ins Deutsche: Inga Bening (Freiwillige Mitarbeiterin)

 


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