Der Bund zwischen Orang-Utan-Müttern und ihren Jungen ist einer der stärksten in der Natur.
Text von Dave Neale, Tierschutzdirektor bei Animals Asia
Wissenschaftliche Studien haben immer wieder belegt, dass die Kindheit, die prägendste Phase im Leben eines Menschen ist. Die frühkindlichen Erfahrungen, die zu einem großen Teil von der Mutter geprägt werden, beeinflussen das gesamte spätere Leben.
Ebenso verhält es sich bei Orang-Utans.
Orang-Utan-Mütter sind alleinerziehend und der Bund zwischen ihnen und ihren Kindern zählt zu den Stärksten, die die Natur hervorgebracht hat. Eine Orang-Utan-Mutter bleibt zwischen sechs und acht Jahre lang bei ihrem Kind. In dieser Zeit lehrt sie es, Futter zu finden und Essbares von nicht Essbarem zu unterscheiden. Sie zeigt dem Jungen wie es sich vor Feinden schützen kann und wie es ein geeignetes Nest baut.
Weibliche Orang-Utans sind dafür bekannt ihre Mütter sogar noch bis zu einem Alter von etwa 15 oder 16 Jahren immer wieder „zu besuchen“. Primatologen gehen davon aus, dass die Jungtiere so lange bei ihrer Mutter bleiben, da es so viel zu lernen gibt, bis sie eigenständig überlebensfähig sind.
Körperlicher Stress, Krankheit und Variationen des mütterlichen Verhaltens wie etwa die Häufigkeit der Fellpflege, des Stillens oder Leckens können ebenfalls dazu beitragen, die neurologische Entwicklung des Jungen zu beeinflussen.
Daher ist es grundlegend für alle Tiere, die in der Obhut von Menschen leben, dass eine stressfreie Umgebung geschaffen wird. Die Tiere müssen sich natürlich verhalten können – insbesondere, wenn sie Nachwuchs haben.
Ebenso wichtig ist es, dass die Jungtiere so lange wie es natürlich für sie ist, bei ihren Müttern bleiben. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie sich physisch und psychisch bestmöglich entwickeln.
Viel zu oft mussten wir von Animals Asia beobachten, wie Jungtiere ihren Müttern entrissen wurden. Man verkaufte sie als exotische Haustiere oder zwang sie als Touristenattraktion aufzutreten.
In den letzten Jahren hat die globale Gier nach ausgefallenen Selfies und somit auch solchen mit Wildtieren immer mehr zugenommen. Der Trend, stellt eine Bedrohung für Tiere dar – insbesondere für die Jungtiere, die als „niedlicher“ und fotogener als ihre ausgewachsenen Artgenossen angesehen werden.
Selbst wenn eine Mutter nicht von Wilderern getötet, sondern gemeinsam mit ihrem Jungen gefangen wird, beraubt man sie zumeist in Gefangenschaft der Möglichkeit, die Bindung zu den Nachkommen in natürlichem Maße aufrechtzuerhalten.
Als Folge der gestörten Mutter-Kind-Beziehung und künstlichen Aufzucht können sich die so aufgewachsenen Tiere später nur schwer in eine Gruppe eingliedern. Sie weisen häufig Verhaltensanomalitäten auf bzw. haben nicht gelernt, was natürliches Verhalten innerhalb ihrer Art überhaupt ist. Diese Tiere werden selbst kaum in der Lage sein, ein natürliches mütterliches Verhalten bei ihrem Nachwuchs zu entwickeln.
Die Trennung vom Jungen hat auch eine verheerende Auswirkung auf das Muttertier. Wie wir Menschen, ziehen Orang-Utans ihren Nachwuchs mit viel Hingabe und Liebe auf. Indem sie das tun, helfen sie ihren Jungen sich richtig zu entwickeln und die Fähigkeiten zu entwickeln, die sie benötigen, um in ihrer Umgebung und mit ihren Artgenossen klarzukommen.
Die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Beziehung kann per-se nicht überbewertet werden. Wir müssen alles dafür tun, um dieses Band zu schützen – sowohl für wildlebende als auch für gefangene Tiere.